Es war ein herrlicher Herbsttag. Die letzten Nebelfetzen zogen über den leergefegten Platz, während die Sonne sich langsam ausbreitete.

Langsam, und doch war ihre Kraft zu spüren. Die Kraft, die die letzten Nebelschwaden wegwischte, als würde man mit einem Tuch den Staubfilm einer Glasplatte wegwischen, als würde man einen verborgenen Raum freilegen; wie von Zauberhand. Keine Anstrengung, kein Tun war zu vernehmen und doch konnte man die lautlose Kraft deutlich hören. Ab und zu Schritte. Schritte, die sich langsam näherten und sich langsam wieder entfernten. Man mochte meinen, dass der Platz nicht enden wollte, und das Echo der auftretenden Schritte hallte nach und verfing, verhedderte sich in den Ritzen der Pflastersteine, verfing und verhedderte sich in den Nischen und Ornamenten des Doms, dessen stacheligen Türmchen mattgolden im Halbdunkel der Sonne leuchteten. Hie und da blitzte ein reflektierter Lichtstrahl auf - über unzählige Ecken, Kanten, Ritzen gebrochen und gefiltert - als wäre da Leben.

In den Simsen, den Vorsprüngen und den Nischen der Sandsteinarchitektur nisteten Tauben. Der ursprünglich helle, freundliche, ins Siena gehende Farbton der Fassade und die Konturen der feingliedrigen Ornamentik, hatten sich über die Jahre hinweg verwandelt - durch Abgase und Witterung gebeizt - in ein undefinierbares, alles Leben verschluckendes Gerippe, welches jeden auftreffenden Lichtstrahl verschluckte und eben nur das durch die Zwischenräume der Ornamente, Giebel und schmiedeeisernen Verzierungen strömende Licht, der Architektur zu ihrer Geltung verhalf. Das Licht sein Spiel mit den Tagen, Monaten und Jahren spielte.

 

 

 

Die Regentropfen haben wieder die Gestalt von Schneeflocken angenommen. Zwetschkengroße, luftige Schneeflocken wirbeln plötzlich durch die Luft und schmelzen in Sekundenschnelle, im Moment der Berührung. Ein Auf und Ab, lautlos und doch scheint es, dass ich den Aufstand der Aggregatzustände hören kann. Die weiße Oper. Unbefleckt und doch so gewaltig. „Es ist der Vater mit seinem Kind, siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?“ und ich lausche dem Rhythmus der Zeilen, jede Flocke eine Note und dazwischen schleicht sich der laszive, verhöhnende SingSang, von Zappa, „Billy the mountain, Billy the mountain, a regular picturesque, postcardy mountain, residing between lovely Rosamond and Gorman, with his stunning wife ETHELL, a tree!, a tree!“, und in das verhöhnende Gekreisch, a tree, a tree schleicht sich die pathetische Rezitation Oskar Werner‘s ein, der SingSang des Reims, der SingSang des herannahenden Unheils, „du liebes Kind, komm, geh mit mir, gar(stig) schöne Spiele spiel’ ich mit dir, BILLY was a mountain, ETHELL was a tree, manch’ bunte Blumen sind an dem Strand, meine Mutter hat manch gülden Gewand, growing off of his shoulder.“

Im Moment scheint es mir, dass sich alles, wirklich Alles zu einer Verschwörung auf dichtesten Raum zusammengequetscht hat.

Das Wetter, die Luft, der Staub, das Licht, die Geräusche im Wind, alles eben sich aneinander reibt, ineinander presst, gegenneinander schmiegt. Der Prozess des Gegeneinander, ein Prozess des Gemeinsamen wird. Kein Miteinander und doch beschwören die einzelnen Elemente ein Gemeinsames herbei.

Die Zeit scheint abhanden gekommen. Die Zeiger der Zeit, können nicht mehr die Dichte des entstandenen Ineinander durchschreiten. Die Zeit hält den Atem an und innerhalb dieses Anhaltens, kann ich wiederum ein Pulsieren vernehmen. Den Fluss, den Atem im Erstarrten, das Lebendige im Toten. Viele Worte sind kein Wort zu viel und Eines bringt den Teller zum Überlaufen. Die Menschen die sich bei lebendigen Leib häuten, um sich lieben zu können.

Die Lüge der Wahrheit und die Wahrheit der Lüge. Das Nichts, welches Alles ist und ich schließe das Fenster und denke an Marion.

 

 

Aus dem kühlen Inneren höre ich Stimmen. Deutsche Touristen, die gerührt die wenigen und doch feinen Kunsthandwerke bewundern. Filzpatschen, Körbe, Speck und Schnaps, „Gott erhalts.“

Zwei luftig gekleidete Frauen reden miteinander. Als ich eintrete geht das Sprechen in ein Flüstern über. Wir nicken uns zu. Das blonde Fräulein hat am rechten Oberarm eine Tätowierung, ihre Freundin tief schwarze Augen.

Keine Kartoffeln – denke ich und verlasse den kühlen Raum, trete durch die Tür hinaus, und die frühsommerliche Hitze empfängt mich. Beim Willi kaufe ich mir Zigaretten und die Oberöstereichischen Nachrichten.

Am Rückweg begutachte ich die Gartenbank am Scheiterhaufen. Doch nach kurzer Betrachtung weiß ich, dass ich mir das hätte sparen können. Die metallenen Milchtankwagen vom Leonhardsberger blitzen in der Sonne und ich biege ohne zu bremsen in den Güterweg Kollucken ein. Die Abzweigung verläuft beinahe parallel in einem spitzen Winkel zur Hauptstraße.

Es ist, als würde ich von da an schweben. Eine neue Welt erschließt sich immer wieder. Mit sechzig km/h direkt ins Paradies und mein kleiner Skoda schwebt durch die kurze Waldstrecke an der Haselhecke vorbei.

Maria sitzt am Straßenrand. Wir heben unsere Hände zum Gruß.

 

 

 

 

 

 

 

Ich starre auf das Fenster. Ich starre nicht durch das Fenster, nein, ich starre auf das Fenster, so als wäre der Hintergrund, also das was sich hinter dem Fenster befindet eine Tapete, ein Foto, ein Gemälde, eins, zwei, drei, welches durch das Fensterkreuz geteilt ist, so als hätte man die Natur gevierteilt, so als wäre die Natur in kleinere Einheiten abgefüllt, verpackt, verschnürt, und je länger ich dieses Bild betrachte, verschieben sich die einzelnen Bilder, die einzelnen Segmente untereinander. Ein Ausschnitt tritt hervor, wobei ein Anderer in den Hintergrund tritt, oder an Schärfe verliert und die Bewegung im Wind, dem eigentlichen Gegenstand, dem Baum, den Büschen etwas Irreales gibt, so als hätte der Busch, der Baum, ausschließlich die Funktion eines Symbols und die natürliche, die selbstverständliche Bewegung wird von meinem unbewussten Vexierspiel mit dem Kreuz verdrängt. Schicht über Schicht lagern sich meine Bilder übereinander, ohne sich einander zu berühren, entgegengesetzt zum Wind, der das Rascheln des Laubes doch zwangsläufig bedingt.

Es ist als würde ich durch ein Quadroskop sehen, welches das Panorama in einzelne Segmente, Bausteine zerlegt, so als würde sich die Welt verdoppeln, verdreifachen, vervielfachen, einmal, zweimal, dreimal, so als würde ein Baum alleine, in ein vielfaches seiner selbst determiniert und aufgegliedert.

Es entsteht eine Bewegung in der Auffächerung, der Aufgliederung und der künstlichen Betrachtung des Rezipienten, so als wäre der Baum ein Schrank mit unendlich vielen Fächern, die man je nach Betrachtung herauszieht, oder eben schließt und ich stelle mir dann vor, dass ich in diesen unendlich vielen Laden meine Kreise ziehe und dem unendlichen Rauschen der Ewigkeit, der Sinnlosigkeit lausche. Ich bin gefangen von der Faszination der Vielschichtigkeit, sodass ich dadurch meine eigene Freiheit, für die Dauer meiner Abwesenheit verliere.

Ja, genau“, meine Abwesenheit nimmt mich sozusagen gefangen, so als wäre ich in zwei Hälften aufgeteilt. Die Eine sieht mich ständig an, während die Andere teilnahmslos die Zeit an sich vorüberziehen lässt und der Zeit keinerlei Bedeutung gibt, da diese jeglichen Sinn für Zeit verloren hat. Ich sitze da in meinem Ohrensessel und lausche dem Knistern und Knacken des Ofenfeuers, so als würde am anderen Ende der Welt die Erde in Flammen sehen.

 

 

Ich würde die vergangene Nacht Revue passieren lassen, so als wäre ich nicht dagewesen. All die Beliebigkeiten, Emotionen und Verletzungen, so als wären wir domestizierte Tiere im Käfig und würden die Gitter, Schlösser und Mauern beschwören. Das Streben nach Freiheit und Glück - würde ich denken, bewirkt das Gegenteil.

Frei wirst du nie sein – denke ich, doch alleine der Gedanke daran verleiht mir die Illusion von Freiheit und ich muss lachen.

Meine Freunde sind letztlich nicht mehr, als eine Illusion und immer wenn ich denke, dass ich diese nicht bräuchte, vermisse ich sie, im Glauben, alles könnte sich zum Guten wenden. Nicht der Freund wird zum Feind, oder der Feind zum Freund, da doch der Freund vom Anfang an dein Feind ist, so wie dein Körper, dein Geist natürlichen Grenzen unterworfen ist und dir ständig deine Unzulänglichkeiten vorhält.

Ich würde die vorangegangene Nacht verfluchen und doch würde ich diese nicht vermissen wollen. Jedes Ding hat seinen Preis, auch wenn man es umsonst bekommt. Umsonst gibt es Nichts, weder die Liebe, das Glück, die Freiheit, den Ruhm, doch letztendlich, ist nicht alles einerlei und somit umsonst, willkürlich oder gar überflüssig.

Von dem was da ist, bleibt bestenfalls das Wunder.

Die Unerklärlichkeit die nicht fordert, sondern ist und sein lässt. Ist es nicht genau das, was einem die Wunder wundersam erscheinen lässt – denke ich. Das Wunder blendet und täuscht, das Wundersame berührt.

Ich würde in meiner Stube auf – und abgehen, es würde mich von meinen Gedanken ablenken. Auf und ab, auf und ab. Ich würde lachen und denken. Ich würde meine Unruhe annehmen, mein nicht Wissen.

Würde mich mein nicht Wissen zu einem Wissenden machen und wem soll damit geholfen sein, frage ich mich?

Das Feuer im Ofen würde prasseln, als wäre es auf der Flucht.

Alles Schall und Rauch – würde ich denken. Das Vergangene wird ersetzt durch die Gegenwart, der die Hoffnung auf die Zukunft im Nacken sitzt und ist die Zukunft da, wird man seine Visionen, Träume und Gedanken vergessen haben, einerlei.

Wie kann etwas besser werden, wenn man das Beste nicht kennen kann, da einem das Gewissen auf Zeit, die Moral auf Zeit ein Schnippchen schlägt. Jeder Gedanke bringt einen Neuen hervor – denke ich und überlege, dass es doch spannend sei seine Gedanken zu archivieren, nicht den Taten, sondern den Gedanken einen Sockel zu errichten.

Die Gedanken sind frei – denke ich, zitiere ich, und mein inwendiges Lachen gleicht einem Tsunami, einem Orkan an Bösartigkeit. Ja, ein Museum, ein Museum der Flüchtigkeit gewidmet, wie würde dies wohl aussehen?

Ich würde über Gerechtigkeit, das Recht und das Richtige nachdenken. Das Recht, welches bindet und einen erstarren lässt.

Hast du einmal Recht, dann hast du immer Recht – denke ich.

 

Hast du einmal von der Rechtschaffenheit gekostet, so willst du diese für dich alleine, da du Angst hast, du könntest vom rechten Pfad abkommen. Die Angst um den Verlust macht Recht zum Unrecht, doch entscheidest du dich nicht aus freien Stücken zum Unrecht, so ist das Unrecht nichts als Vergeudung, so wie das „Recht haben“ lediglich ein Zeichen der Einfalt und Ausweglosigkeit ist.