Ich habe geschrieben, dass das Projekt „Rahmen“, warum auch immer - Max hat es so betitelt
- Gestalt annimmt, trotz seiner Unausgegorenheit. Ich könnte bereits die fluktuierenden
Lichtpunkte, die vier Jahreszeiten, den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter,
sehen, riechen, schmecken, schreibe ich. Das Abstrakte würde Gestalt annehmen.
Alles wäre Eins.
Der Sprung ins kalte Wasser. Warum? Dass ich das nicht wüsste, doch die Beliebigkeit
- begleitet, initiiert von Emotionen, Gedanken – würde eine unendliche Zahl an
Möglichkeiten eröffnen. Die Qual der Wahl, habe ich geschrieben. Fokussieren und streuen.
Die Streu würde das Besondere, so wie das Besondere die Streu generieren.
Alles zu seiner Zeit, alles am rechten Platz, nur eben nicht da wo man denkt dass es sei,
nicht da wo man es haben möchte, habe ich geschrieben. Das Fokussieren erzeugt Reibung.
Das Fokussieren würde die Sicht vernebeln, lese ich.
Georg-Fabian schickt wieder eine Nachtansicht von Berlin. Lediglich weiße Punkte,
Lichtreflexe auf schwarzem Grund.
Georg-Fabian schreibt: Mehr war leider heut nd drinnen... Ich schreibe: Erstens super schön, außerdem ist die Form nicht von Belang. Ohne Schwarz
und Weiß hätte der alte Hund keinen Grund zu schreiben.
Max schreibt: Ist das von Bedeutung. Weiße Punkte auf schwarzem Hintergrund und der alte
Hund hat seine Freude...
Max schreibt: So ward es eine unwichtige Frage, die gestellt werden wollte... Georg-Fabian schreibt: Oida!,kennts ihr a normal schreiben! Georg-Fabian schreibt: Was ist normal? Oberösterreichisch, Deutsch oda wos? Max schreibt: Bürgerlich, hahaha... Max schreibt: Kurz vor dem großen Geschäft mit dem Leben, Tag für Tag;
doch kein Tag mich zu verändern mag.
Georg-Fabian schreibt: Jo scho, oba heid ned? Max schreibt: Wow... Ich schreibe: Morgen ist auch noch ein Tag... Max stellt sein Foto in unseren Ordner. Stadtansicht von oben. Gumpendorferstraße in Wien.
Häuser, Dächer, einsame Wände. Himmel, Wolken und mittendrin ein Taube, bewegt, un
Ich schreibe: Morgen ist auch noch ein Tag...und des weiteren schreibe ich; Max das ist
einfach genial, so richtig poetisch...
Max schreibt: Hahaha, danke. Sag, was hast du darunter verstanden, wie interpretierst du
meinen Text?
Ich schreibe: ...dass das Leben das große Geschäft ist; ironisch gemeint und dass man
sich vom großen Geschäft nicht beeindrucken lässt. Dass das große Geschäft, die Blendung,
die Eitelkeiten, das sogenannte Wichtige es nicht vermag einen zu ändern, egal wie groß,
wie wichtig es auch daherkommen mag und Tag für Tag steht für die stete Wiederholung,
das Hamsterrad in dem wir uns
bewegen, das was wir als das Besondere titulieren, obwohl
da nichts Besonderes ist, da das Besondere im bedeutungslosen liegt...lgg
Max schreibt: Ja ziemlich so hatte ich es gemeint:)! Ich schreibe: Also d'accord? Max schreibt: Heißt das übereinstimmen? Ich schreibe: So ähnlich, französisch für einverstanden. Max hat mir seinen heutigen Beitrag geschickt.
Hinweisschilder im untergehenden Sonnenlicht. Der Himmel ist dunkelblau und die Lichter
der Fahrzeuge gleichen Sternen am Abendhimmel.
Ich schreibe, dass ich das mit den Sternen
jetzt erfunden hätte, doch die folgende Beschreibung der Realität Stand hält.
Auf den
Hinweistafelnsteht Linz, St. Pölten auf blauem Hintergrund A1 und Schönbrunn auf grünem
Hintergrund und ein Busemblem darunter. Ich vermute Gürtel, auf der Höhe vom Westbahnhof.
Die Schilder sind mir in Erinnerung, als wären diese Schilder eine Sehenswürdigkeit von
Wien.
Georg Fabian hat geschrieben, dass er die Wohnungsbesichtigungen in Berlin ziemlich bizarr
fände. Fünfzig Menschen stünden im Treppenhaus Schlange und würden darauf warten,
dass der, die Maklerin, Wohnungseigentümerin käme und die Räumlichkeiten zur Besichtigung
frei gäbe undanschließend würden fünfzig einander fremde Personen durch die Wohnung
latschen und sich letztendlich in die Liste der Bewerber eintragen.
Jetzt, schreibt Fabi, jetzt würde er in einem der Parks mit älteren Taxifahrern Fußball
spielen. Jeder der Männer würde Darco, Draco heißen, oder so, schreibt Fabi. Verliert
einer der älteren Herren den Ball, was so gut wie immer vorkommt, setzt Fabi fort, dann
war alles Andere daran Schuld, nur eben der jeweilige Ballbesitzer nicht.
Auf meine Frage hin, ob er, Fabi bitte nicht vergessen würde seinen heutigen Beitrag
abzuliefern, schreibt Fabi mir zurück, dass er heute keine Lust mehr hätte, er wäre
einfach zu schlapp. Ich weise ihn daraufhin, dass er das Foto doch auch von seinem Bett
aus machen könnte und soweit ich vermute, schreibe ich, müsste er dazu weder das Bett
verlassen, noch sonst etwas mühsames tun. Dein Handy hast du doch ohnehin immer dabei,
schreibe ich.
Fabi schreibt: Jo ehhhh... Wenige Minuten später bekomme ich Fabis Beitrag. Eine halb geöffnet knallrote Haustür,
kurz vor Mitternacht. Jetzt weiß ich wie Fabis interimistische Haustür in Berlin
aussieht – denkeich und füge unsere Beiträge auf unsere Website hinzu.
Meinen Beitrag hatte ich am Nachmittag im Baumarkt abgelichtet. Dächerzeilen im
Industrieviertel, aus denen ein rotes Logo,
Akronym hervorsticht; mit den Initialen FAB.
Meine Assoziation dazu ist Fabi – kein Akronym lediglich die Koseform von Fabian,
meinem Sohn - doch letztendlich verbirgt sich hinter diesem kryptischen Kürzel, wie folgt:
Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung. LOL – denke ich, laughing out loud,
hahahaha...
Ich schreibe: Wisse mein Sohn; nicht aller Tage ist Abend. Ab und zu, hin und wieder, scheiß ich auf mein Mieder. Ein Bier auf die Hoffnung, ein weiters auf's Glück. Passiv wie aktiv, die Sache scheint geritzt. Ich bin spitz, doch die Laternen woll'n sich nicht biegen, die endlos scheinenden Straßen verweigern mir den blumigen Blick,
das tägliche Geschäft;
schlafen, essen, Zähne putzen.
Doch ich sage dir mein Sohn, ich werde trutzen, komme was will. Das Neue, die Idee vom
Alten, doch Eins ist gewiss;
nichts bewegt sich, wir rennen hinterher,
dem Stillstand zum Trotz.
Max schreibt: Oh edle Rede, oh edler Sinn. Hinter alledem steckt Grund und Sinn,
die Frage ist nur worin? Oh Meister, oh Vater, so belehrt du auch bist; Bier in den Venen,
es kommen mir die Tränen. Ein Schluck und du vergisst. Aus einem Gedanken wird eine lange
Nacht, wer hätte das gedacht.
Die Bedeutung ist lose, die Bedeutung ist ephimär, wie Bewegung und Zeit, vor dir steht
das nächste Bier bereit. Doch lass ich dich wissen, der Weg ist das Ziel paperlapapp,
doch nach drei Bier sagt er viel...
Georg-Fabian schreibt: Hinige Sau!
Max schreibt: ...zugedröhnt von den Medikamenten;xD
Georg-Fabian schreibt: Guade Besserung...
Max schreibt: Danke:)
Ich schreibe: Meine Wunderknaben.

Samstag der neunundzwanzigste September zweitausend und achtzehn. Ich bin krank. Georg-Fabian ist wieder da, schreibe ich. Von Berlin nach Linz in acht Stunden. Während der Fahrt hat Fabi mir ein Foto geschickt. Dunkle Nacht. Vereinzelt Lichtpunkte am Horizont. Lichtpunkte von Laternen, Scheinwerfern et cetera, et cetera, welche sich doppelt und dreifach in der Windschutzscheibe des Autos spiegeln. Die Unschärfe lässt den Schluss zu, dass die Aufnahme während der Fahrt entstanden ist. Nirgendwo im Irgendwo, schreibe ich. Fabi auf großer Fahrt mit Hanna und Joana. Ab in die Heimat, back to the roots, schreibe ich.

Einige Tage später. Genauer gesagt, drei Tage. Das Datum ist nicht von Bedeutung, schreibe ich. Hoppediho, hoppedihüh, trallala, tatütati... Ich schwinge mich aufs Rad wie Monsignore Tati, beziehungsweise meine ich das. Meine Beschwingtheit basiert auf der Vorahnung meines Vorhabens. Ich weiß nichts von meinen Vorhaben, doch ich spüre es im Blut, im Herzen, meinen Ahnungen, „das Leben hat heute etwas mit mir vor“. Ich beuge mich diesem Orakel und sage Anna ciao, arividerci belissima, greife mein schwarz samtenes Sakko vom Haken meiner Wünsche, wickle mir bedeutungsvoll den Schal um meinen Hals, hänge mir diagonal die Computertasche um meinen zweiten Hals und schwinge diese wie Tati nach hinten und schon sitze ich am Rad meiner Träume.

 

Mike fragt mich, ob ich von seiner Hühnersuppe kosten möchte. „Natürlich“, sage ich. „Die Suppe sei fantastisch“, sag ich zu Mike. Mike sitzt wieder an seinem Tischchen und trinkt Kaffee. Er sieht abwesend beziehungsweise gelangweilt aus. Neue Gäste kommen ins Lokal und kaum hat Mike an seinem Tischchen Platz genommen, springt dieser wieder auf, geht hinter die Bar und holt für die neu eingetroffenen Gäste Bier aus einer der Kühlladen hervor. Ungefragt, schreibe ich. Selbst die Marke des jeweiligen Bieres hat Mike in seinem Gedächtnis abgespeichert. Das ganze Szenario gleicht einem Brettspiel. Figuren, Steine werden gesetzt. Das Szenario ist ständig in Bewegung, begleitet von der kontemplativen Beschaulichkeit eines Spiels. Zwischendurch kommt Mike immer wieder zu mir an die Bar und setzt mir seine Theorie des Kochens, beziehungsweise in erweiterter Form seine Theorie von Heimat auseinander. Dreißig Jahre würde er jetzt hier Leben und nie hätte er seine Heimat, Bulgarien, Sofia vermisst. Lediglich beim Kochen würden in ihm Erinnerungen wach. Die Gewürze und Zusammenstellung der einzelnen Zutaten würde in ihm seine Heimat wachrufen. Bilder, Begebenheiten würden an ihm vorüberziehen und der sonst so abstrakte Begriff Heimat würde Form annehmen. „Heimat ist Blödsinn“, sagt Mike und ergänzt, dass seine Heimat in der Ästhetik, in der Handhabung, in der Idiomatik der Dinge liege, jedoch nicht im Ort an und für sich. Seine Heimat, sagt Mike, würde in den Gerüchen, in den Klängen seiner Kindheit liegen.

Mike ist in seinem Element, schreibe ich.

Ohne zu fragen stellt Mike mir eine neue Flasche Bier auf die Bar und nimmt meine Leere mit.

Ich sehe am Handy nach nach neuen Nachrichten. Fabi hat mir ein Foto von einer seinen Zeichnungen geschickt. Halbmond, Kreuz und Pentagramm.

Ich schreibe: Drei in Einem...

Ich versende meinen Beitrag. Porträt von Fabi am Küchentisch, schreibender Weise. Oskar sitzt auf Fabis Schoß. Ich habe das Foto bearbeitet. Die Abbildung ähnelt einem Renaissancegemälde. Dürer, Holbein, schreibe ich. Die Ästhetik, so wie das Sujet.

 

Max hat mir ein Foto von einem Pitbull hinter Glastür geschickt. Der Hund spiegelt sich im Glas und steht einsam, wie eine Statue auf kaltem Fliesenboden.

Ich schreibe: Apokalypse now...

Max schreibt: Jep...die halbe Wahrheit?

Ich schreibe: Von was?

Max schreibt: Von meinem Blickfeld aus...

Ich schreibe: Genauer genommen ist die ganze Wahrheit doch immer eine Halbe; der Menschlichkeit wegen...die ganze Wahrheit wäre so etwas wie Hitler, Stalin, Trump oder so...

Das Pendant dazu wäre naturgemäß die Lüge, die offensichtliche Lüge oder eben die Notlüge, die bemüht ist die Schieflage zu begradigen. Wie Spachtelmasse, schreibe ich.

 

Der Tag darauf.

Ich schicke eine Turmperspektive des Neuen Doms. Die obere Hälfte des Turms glänzt golden im letzten Abendlicht. Die untere Hälfte gleicht einem Schatten. Kalt und düster.

Fabi schickt mir eine Ansicht von einer Tankstelle, beziehungsweise Raststätte, am Weg von Linz nach Berlin. Tiefblauer Himmel im Abendlicht. Darunter die Tankstelle hell erleuchtet in Neon. Max schickt eine Ansicht von seinem Arbeitstisch, welcher lediglich durch das durch den Türspalt einfallende Licht beleuchtet ist.

 

Ein weiterer Tag.

Ich schicke ein Foto meiner Mutter.

Fabi schreibt: Die Oma...

Ich schreibe: Ja, die Oma...

Ich schreibe: Max, Foto nicht vergessen!

Gleich darauf bekomme ich Maxes Beitrag.

Über den Dächern von Wien, schreibe ich. Häuserzeilen von oben herab aufgenommen verjüngen sich nach hinten und enden in einer Wandmalerei, einem Plakat. Ich kann es nicht genau ausmachen. Die Malerei zeigt einen Mann der mit seiner Hand auf etwas zeigt. Über dem Konterfei des Mannes steht, „ganz großes Kino“. Links vorne im Bild blinkt chromfarben ein Kamin. Dahinter Blumentöpfe auf einem der Balkone. Das ganze Bild erweckt den Eindruck als wäre das Szenario nicht real, sonder ein Bühnenbild.

Ich schreibe: Hallo Max, das Foto ist toll. Nicht nur weil es das Alltägliche zu etwas Besonderem erhebt, sondern weil die Perspektive dermaßen gewählt ist, dass man meinen möchte, das ganze sei lediglich Kulisse. Ein Puppenhaus, wie auch immer. Ein Minimundus unserer vergessenen Realität, ergänze ich...

Fabi schickt mir eine Aufnahme von zwei Büchern am Tisch.

Großes Berlinbuch lese ich, der Titel des zweiten Buches ist nicht erkenntlich.

Ich schreibe: Ich bin ein Berliner...

Fabi schreibt nichts:........................

02.10.2018, schreibe ich. Ein weiterer Projektbeitrag. Einer von Vielen, schreibe ich. Das Prozedere gleicht dem Uhrwerk einer Sanduhr.

Fabi schickt ein Foto eines Pozellanknaben am Bad, am Waschtisch seines neuen Domizils, seiner interimistischen Herberge in Berlin. Weißer Knabe in Porzellan gemeißelt, gegossen und behangenen mit Pretiosen des Alltags. Schmuck, Damenallerlei, schreibe ich. Sibern glänzender Armreif, Perlenketten et cetera, et cetera.

Max schickt mir ein Foto vom Display seines Computers. Irgendein pixeliges Bild von einem seiner Computerspiele ist darauf zu erkennen. Ich schreibe Anime. Nachdem ich das Bild vergrößere erscheint in der Mitte das Wort Opa.

Max schreibt: Ich habe gesündigt.

Ich schreibe: Weshalb...?

Max schreibt: Spaß...

Mein Beitrag entspricht meinen ergrauten Haaren. Blumen am Tisch. Dahinter das Fenster zum Hof. Mehr gibt es nicht zu sagen.

 

08.10.2018. Wir haben unser Vorhaben um eine Ebene mehr erweitert. Nicht nur die jeweilige Ansicht des Tages, Wien/Linz/Berlin soll unser tägliches Credo unserer Familienaufstellung, unseres zeit - beziehungsweise ortsbezogenen Projekts darstellen.

 

Wir expandieren, schreibe ich. Jeweils zusätzlich ein Selbstporträt soll beigefügt werden. Auch hier die Prämisse, lediglich ein Porträt, "close up", die Qualität der Momentaufnahme ist nicht von Bedeutung, von Belang, schreibe ich. Die Porträts werden nicht der bisher existierenden Bildergalerie einverleibt, sondern dem jeweiligen Ordner der Partizipienten zugeordnet und ebenfalls auf eine Timline gestellt. Drei kleine Filmchen, Animationen entstehen, hingegen die ortsbezogenen Ablichtungen werden nach Beendigung unseres Projekts - wie bereits beschrieben - zu vier Einheiten auf eine Trägerplatte übertragen und in Kunstharz gegossen. Die ursprüngliche Idee mäandert, schreibe ich. Transformation oh Transformation, doch die Idee, der ursprüngliche Gedanke steht felsenfest, lediglich die Textur muss kalibriert werden, adaptiert werden. "Flickering lights", schreibe ich. Lights in the dusk. Das Format der einzelnen Ablichtungen ist mittlerweile dermaßen klein, sodass deren Kenntlichkeit lediglich mit einer Lupe auszumachen ist. Aus den Fotografien werden Pixel, Lichtreflexe. Der Prozess der digitalen Fotografie wird umgekehrt. Transformation in Bild, Ort und Zeit findet statt.

 

07.10.2018. Ich schicke ein Porträt auf meinem Sofa; liegend.

Fabi schickt ein Foto von jener Haltestelle, die ihn tagtäglich auf dem Weg zu seinem Unterricht begegnet. Max schickt mir ein Foto von einem seiner zahl - und wahlosen Bummelspaziergänge durch Wien.

 

Auf Fabis Beitrag hin schreibe ich "wo?".

 Fabi schreibt: Wannsee.

 Auf Max'es Beitrag hin schreibe ich wiederholt: Wo?

 Fabi schreibt: Nussdorferstraße.

 Ich schreibe: Wieso kennst du das?

 Fabi schreibt: Weil am Schild der Bushaltestelle im Hintergrund Nussdorferstraße steht.

 Ich schreibe: Okay, keine Brille...

 Max schreibt: Jackpot

 

Max schickt am darauffolgenden Tag ein Foto von Straßen, Gehwegen und im Hintergrund ein Wohngebäude und nochmals dahinter ein turmartig verglastes Gebäude. Das Foto lässt den Schluss zu, dass der Grundriss des Turms ein Oval beschreibt.

 

Ich schreibe: Gasometer?

 Max schreibt: Nein, Favoriten irgendwo...

 

Ich schicke ein weiteres Porträt von mir. Ebenfalls vom Sofa aus gemacht. Ich sehe leicht beschädigt aus. Anschließend sende ich meinen örtlichen Beitrag. Eine Aufnahme von meinem Computerdisplay. Fabi schickt eine Ansicht von einem Wohngebäude, Ecke Heesestraße/Südendstraße. Gutbürgerlich, schreibe ich, was auch immer das bedeuten soll. Jedenfalls sieht es aufgeräumt, beziehungsweise repräsentativ aus. Fabi schickt mir weitere Fotos. Ein Riss im Asphalt, mit Bitumen ausgebessert. Des weiteren ein Selbstporträt und Fotos bei Nacht. Brandenburger Tor, schreibe ich. Am Brandenburgertor wechseln einander unterschiedlichste Projektionen ab. Menschen stehen herum. Feiertag, schreibe ich, beziehungsweise Gedenktag an die Wiedervereinigung. Fabis Porträts haben Ähnlichkeit mit dem Selbstporträt von Egon Schiele, hingegen Max'es Selbstporträts, verkörpern Max himself. Trotzig, ironisch, Widerstand. Evolution, Revolution und vice versa, schreibe ich. Aus Maxe's Augen spricht Widerstand, hingegen spricht aus Fabis Augen Melancholie, selbst dann, wenn dieser eine trotzige Pose einnimmt. Mir hingegen fällt nichts Besseres ein, als Sofaporträts zu machen, oder Porträts mit Brille und Zigarette im Mund. Ich schicke Ansichten von Logos jeder Art und unterschiedlichsten Trägermaterialien. Litfaßsäule hinterleuchtet, Stoffbahnen, an deren Rückseite das Logo sich luzide bemerkbar macht.

 

Nachtaufnahmen von Stadtbahnen in Berlin, Wien und Linz.

Einsam leuchtende Laternen mit Korona.Fernsehturm-Berlin und des weiteren und so fort.

09.10.2018. Ich schau bei Mike vorbei und bringe ihm den von Vortag versprochenen Apfelkuchen und gehe anschließend weiter ins Café an der Promenade.

Ich sehe die Mails durch. Ich sehe die Benachrichtigungen, beziehungsweise Beiträge meiner Söhne für den heutigen Tag durch.

Fabi schickt mir ein Porträt nach der Dusche. Nackt schreibe ich, doch man sieht lediglich das Porträt, so wie es sich für ein Porträt gehört...

Als Ansicht schickt Fabi mir eine Aufnahme vom Duschraum in Brandenburg, seiner Schule, nach dem Praktikum. Ein Heizkörper weiß, dahinter Fliesen weiß. Vor dem Heizkörber steht eine Stehleiter.

Max hat mir sein Porträt geschickt. Stets baumeln seine Kopfhörer um seinen Hals. Seine Haare stehen zu Berge. Gefärbt, schreibe ich, weiß strähnig. Sein Stadtansicht, beziehungsweise Ansicht steht noch aus. Ich warte. Basta...

Immer wieder denke ich, dass unser Projekt, im Grunde genommen ziemlich bescheuert ist,

doch dann entsinne ich mich der grundlegenden Idee. Nicht die Abbildung steht im Vordergrund, sondern die Tatsache, jeden Tag ein Selbstporträt und eine Ansicht der jeweiligen Landschaft, des jeweiligen Umfelds, Wien/Linz/Berlin bereitzustellen, wäre der Gedanke des Projekts. Dieses gebetsmühlenartige Festhalten von Inhalten, egal welcher Form, egal welcher Bedeutung. Die Regelmäßigkeit des Ablichtens einer Situation, Tag für Tag, erzeugt eine Form von Landschaft, eine Form von Topographie, eine Form von beabsichtigten, so wie unbeabsichtigten Befindlichkeiten, ohne zu wissen wie diese Landkarte des Lebens letztendlich, nach dreihundertfünfundsechzig Tagen aussehen wird. Eine Form von Initiation, schreibe ich, die sich bewusst dem Unbewussten aussetzt.

Ich schreibe: Auch wenn das Wochenende naht, der Fotoexpress niemals Feiertag hat, 365 Tage lang.

Die Kinder lassen mich zappeln. Immer wieder greife ich zu meinem Handy und sehe nach Fotos. Vergebens, schreibe ich.

Ich schreibe: Zwei Fotos sind ausständig...

Fabi schreibt: Hab eh gestern mehrere geschickt...

Ich schreibe: Hallo Fabi, drück einfach auf den Auslöser. Wenn wir anfangen zu schummeln, dann funktioniert unser Projekt nicht. Das ist wie Beten. Wenn du dich fragst was Beten bringen soll, dann kannst du es bleiben lassen...

Fabi schreibt: Okay, ich hab das schon verstanden...

Im Nu bekomme die ausständigen Ansichten. Garten in Berlin, schreibe ich. Fabi spiegelt sich im Fenster seines Zimmers. Das Porträt zeigt Fabi von seiner besten Seite. Grimasse

schreibe ich. Max schickt mir eine wunderschöne Ansicht von einer Straßenflucht im Siebten. Wochenende, die Straße ist menschenleer und die Strßenbahnschienen ziehen sich in der flach einfallenden Herbstsonne, funkelnd durch das urbane Wien. Wie ein roter Faden. Nicht der Politische, schreibe ich.

Das Porträt von Max kann warten - denke ich

 

Ich schreibe an meine Jungs, betreffend unseres Projekts.

 

Ich schreibe: Hallo, wie wäre es, wenn ihr die nächsten Wochen euren Fokus auf Details 
richten würdet. Keine Stadtansichten, keine Straßen, Parks, Gebäude et cetera.
Zum Beispiel Türen, Tore, Auslagenscheiben jeder Art. Antik, neu, wie auch immer.
Qualität der Aufnahme ist nicht von Belang. Keine Türen von Wohnungen, lediglich eine
Eingangstür ist erlaubt.
Georg-Fabian schreibt: No seaas... Ich schreibe: Gebt mir Bescheid, ob das so für euch vorstellbar ist. Georg-Fabian schreibt: Okay Max antwortet nicht.

Vierzehnter November. Es ist kalt. Nicht so kalt wie es sein sollte, doch es ist kalt. Die Trockenheit das gesamte Jahr über setzt dem Grundwasserspiegel zu. Manche Ortschaften werden zum Wasser sparen aufgerufen. Der Stand der Donau ist derart nieder, dass Frachtschiffe im wahrsten Sinne des Wortes gestrandet sind.Ich schreibe Kursschwankungen. Nicht die
Schiffahrt, sondern die Börse betreffend.
Tag für Tag verschicke ich Selfies und Ansichten aus meiner Umgebung.
Stets vom selben Ort, stets in selbiger Pose, so wie ich tagein, tagaus von meinen Jungs
Selfies und Ansichten aus deren Umgebung bekomme. Stille Post, schreibe ich. Die
Adressaten sind bekannt, doch das dahinter gibt lediglich Aufschluß für vage Vermutungen.
Ich versuche die Botschaften nicht zu interpretieren.
Immerhin weiß ich, meine Söhne leben. Sie leben ihr Leben, so wie ich das Meine lebe.
Das Nebeneinander ergibt ein Miteinander.
Ich erhalte unterschiedlichste Ansichten. Straßen, Kreuzungen, Parks, Häuser, et cetera,
et cetera. Bei Tag und bei Nacht. Ansichten von Dingen denen im Alltag nicht die
geringste Bedeutung beigemessen wird. Eine Schraube unterhalb einer Tischplatte, ein
Türgriff, ein Blatt Papier am Boden, weiße Fließen, die Ecke eines Raums. Nie habe ich
Ansichten von Personen, von Freunden, beziehungsweise flüchtigen Begegnungen erhalten.
Ich schreibe, vierzehnter November Selpstporträt von Georg-Fabian. Georg-Fabian mit
Kapuze und wie es der Zufall will, erhalte ich von Max gleich darauf ein Selbstporträt
mit Kapuze, so wie ich von beiden eine Ansicht von einer Straßenkreuzung erhalte. Diese
Gleichzeitigkeit in der Entfernung ruft in mir eine Nähe, eine Form von Verbundenheit
hervor. Mittendrin am Rand der Welt.