Grönland / mittendrin am Rand der Welt / 2023

Digitaler Druck auf Bütten 110 x150cm / copyright by Georg Seyfried

 

Auszüge aus dem Manuskript „Mittendrin am Rand der Welt“ Arbeitsaufenthalt in Tasiilaq / Ostgrönland

Grass is green, dancing with the air und die Berge stehn stumm. Sieben Uhr morgens. Kein Wind, lediglich Sonnenschein, welcher gen Osten sich im Wasser reflektiert. Kleine silberne Pünktchen flackern, tanzen auf der Wasseroberfläche. Der sich ankündigende Herbst gibt der Landschaft Gestalt, würde all die bisher nicht sichtbaren Details hervorheben. Der Stein, die Felsen leuchten in bisher nicht dagewesenen Farben, so wie die Blätter der Bäume sich verfärben, so scheint das Gestein seine Farbe zu ändern. Immer wieder versuche ich diese Veränderung mittels Fotoapparat festzuhalten und bearbeite im Nachhinein die Fotografien. Ich erhöhe die Kontraste, vertiefe das Licht, bringe Unschärfe ins Bild. Durch dieses Manipulieren, durch dieses Entfremden würde ich diesem Licht, dem Herbst näher kommen. Je mehr ich mich vom Original wegbewege, umso mehr nähere ich mich diesem an. Bild für Bild lege ich übereinander, lasse diese wiederum bis zur Unkenntlichkeit verschwinden und lege erneut ein Bild darüber. Blaue, rote, rostige Container reiße ich aus deren ursprünglichen Ambiente heraus und lege diese über das Bergmassiv an der gegenüberliegenden Seite des Fjords. Ich vermindere die Kontraste und die Container leuchten wie blasse geometrische Figuren. Dazwischen, aus dem Kontext herausgenommen, füge ich vereinzelt Menschen ein. Losgelöst von ihrer alten Umgebung, würden diese durch weitere Manipulationen mit ihrem neuen Ambiente verschmelzen. Am Ende wäre da ein Bild welches nicht existiert und doch erzeugt dieser Prozess, diese träumerisch anmutend neu entstandene Landschaft in mir das Gefühl von Realität, als wäre ich nun endgültig angekommen… von dem was ist, ein Wunder/ eine Illusion, das Unerklärliche das nicht fordert, als wäre es auf der Flucht.

 

Die Illusion vom Leben bliebe und die Absichtslosigkeit würde durch den Gedanken          

der Absicht getragen. Indian Summer, rispettivamente Greenland Summer die Fahnen auf Dreiviertel Mast. Dass ich wieder angekommen sei denke ich, im sogenannten Leben.

Mühle auf, Mühle zu, alles dreht sich und nichts bewegt sich. Back to the roots, irgendwo im Nirgendwo… das Glück nach innen gekehrt, mit dem Wissen fest in mir, Weisheit kommt und geht, das zu hören, zu erfahren, was ich wünschte, nie gewesen.

 

Seelenlose Häuser. Das auf Postkarten dargestellte Ambiente hingegen würde lieblich erscheinen. Bunte Farbtupfen verstreut, als hätte man die Häuser eigens für das Foto inszeniert. Die Gleichförmigkeit, die sich ständig wiederholende Kubatur, sowie die unterschiedlichen und zur selben Zeit sich ständig wiederholenden Anstriche der Fassaden, erinnern mich an die Fahnen von Jasper Jones. Einerseits die Identität und Wärme die diese ausstrahlen, andererseits deren Verlorenheit.

 

Die Identität, die vorgegebene Geometrie der Fahnen, würde sich in der malerische Darstellung auflösen, sowie die Häuser, deren Identität nur so lange existiert, solange diese bewohnt wären. Das Leben in den Häusern dringt nicht nach außen, trotz deren Dünnhäutigkeit. Ab und zu kann man Kinder weinen, beziehungsweise lachen hören. Ab und zu erklingt Musik aus den siebziger Jahren. Vor den Häusern die Wäsche im Wind. Hin und wieder ein Trampolin auf welchem Kinder sitzen und hüpfen, dahinter der Fjord und die Berge.

 

Keine Gartenzäune, keine Gartenzwerge, keine Gemüsebeete, keine Hollywoodschaukel. Da wo sich in meiner Heimat das Innere eines Hauses nach außen erbricht, bis zur Unerträglichkeit exhibitioniert, wäre hier nichts, was vom Leben der Menschen erzählt.Lediglich Dinge des Alltags. Die Wäsche, getrockneter Fisch und Schneemobile, die nach wie vor, wo diese zum letzten Mal benutzt wurden, auf den kommenden Winter warten… heimatlos, Wolkenbruch/in einem Guss, die Launen der Natur, dunkle Geheimnisse, nicht länger schweigen, durch die Blume/ein Gebet, zu hinterfragen/zweifelsfrei, Rinnsale/flüchtig und geschwind, das Leben lässt sich Zeit/zieht teilnahmslos vorüber.

 

M wie Mareike. Mareike meint, dass man anhand meines Essens feststellen könnte, dass ich angekommen sei. Liebe Mareike, dieser esoterischer Mist macht mich krank. Angekommen im physischen Sinn allemal, doch ankommen im erweiterten Sinne, könne man bestenfalls bei sich selbst. All die einzelnen Bilder seiner selbst legen sich beinahe deckungsgleich, Schicht für Schicht übereinander und doch würde das eine oder andere Bild ein wenig aus dem Rahmen fallen. Es entsteht Schärfe in der Unschärfe und man wäre bei sich selbst angekommen. Viele der Menschen die mir hier begegnen, sind weit entfernt von sich. Ihre Heimat sind nicht sie selbst, sondern all die vermeintlich Errungenschaften. Ein Haus/vier Wände, ein Auto/vier Räder, ein Garten/vier Gartenzäune, Bilder über Bilder, gerahmt und abgelegt in einem Fotoalbum, vier Seiten allemal.

Angekommen wäre ich, wenn ich wieder in meiner Heimat bin, in meinem Bett schlafe und in einem meiner Stammcafés sitze. All meine Gewohnheiten von zuvor, würden in neuem Glanz erscheinen. Die Berge, den Fjord, das Licht und die Stille werde ich nicht vermissen und doch würde ich stets diese Bilder in mir tragen, als hätte ich dies alles geträumt.Über aussichtslose, nicht endend wollende Umwege bin ich - auch wenn ich mir dies nie hätte vorstellen können - angekommen, bei mir angekommen und folglich an jenem Ort, in jener Situation, die ich gewählt, mich dagegen gewehrt, doch letztendlich meinen Platz darin gefunden habe. Realität und Emotion hätten zueinander gefunden. Mittendrin am Rand der Welt.

 

Mitte August. Das Wetter, das Verhältnis von Sonne und Schatten nähern sich einer Form von Idealzustand. Indian Summer, rispettivamente Greenland Summer. Ich sitze in kurzer Hose und Shirt auf der Terrasse und atme tief durch, beinahe so, als wäre ich angekommen. Fahnen auf Dreiviertel Mast schreibe ich, doch die Tage zähle ich nicht länger, beziehungsweise hat die Zähheit, die Trägheit der Tage abgenommen und sich in etwas Leichtes verwandelt. Am Vormittag und dem Abend ist beinahe Windstille. Das Wasser ist glatt, sommerlich glatt und zum ersten Mal kann ich am Schnittpunkt vom Horizont die Spiegelung der Berge sehen. Die Stille ist eine Andere, als jene wie ich sie in meinen ersten Tagen erlebt habe. Verspielt und leicht, freundlich und einladend, als wäre ich in meine zu groß geratenen Schuhe hineingewachsen.

 

Das Licht verändert sich von Tag zu Tag in rasendem Tempo. Die Berge auf der gegenüberliegenden Seite vom Fjord haben etwas Gläsernes, etwas Feines, etwas Zerbrechliches. Sie klotzen nicht, sie scheinen transparent, wie eine Grafik, als würde man die Realität mit feinen Strichen festhalten. Dass ich jetzt angekommen sei, schreibe ich, wie eine Postkarte in Händen des jeweiligen Adressaten. Ein Bild, eine Momentaufnahme von einem Boot, einem Berg, ein Sonnenuntergang und das Meer, eine Stadt bei Nacht. Die Lichter funkeln. Ein Land, in jenem man nicht ist und versucht sich ein Bild davon zu machen, ein Bild von jener Landschaft und jenem Menschen, der einem diese Ansicht hat zukommen lassen. Man betritt dieses vielsagende Bild, diese Momentaufnahme und imaginiert Leben in den schweigenden und doch vielsagenden Augenblick. Man tritt in Verbindung mit jenem Menschen, der diese Ansicht verschickt hat und nebenbei mit dem Verfasser und dem Sujet dieser Bildbotschaft. Ebene für Ebene, Schicht für Schicht legen sich die imaginierten Bilder übereinander. Die jeweilige Ansicht wäre zur selben Zeit ein Tor in eine fremde Welt und zur selben Zeit zu sich selbst.

 

Kein Haus, welches älter als zwanzig Jahre ist, keine Geschichte keine Erinnerung, einzig jene Häuser, in denen sich jemand suizidiert hat, würden seelenlos vor sich hinsiechen, würden verrotten und der Schrottplatz unten am Fjord, die verstreut herumliegenden Autoleichen, beziehungsweise Bootsleichen geben dem zeitlosen Ambiente eine Form von Geschichte. Rost und Metall fügt sich nahtlos in dessen Umgebung, in dieses idyllisch anmutende Ambiente nordischer Handwerkskunst und liegt da wie das Gebein eines gestrandeten Wals… dass die Zeit, hier nach einer anderen Dimension gemessen, die Stimmen/die Sprache, das Fremde, die Schlichtheit und die Eleganz, das Glück in Stein gehauene Illusion, dieses bedingungslose Glück, ineinander verflochten und die Frage nach der Zeit, die Zeit gesetzt dem Fall schwerelos sei.

 

Die letzten Tage sind angezählt. Fünf Tage bis zu meiner Abreise. Es wird zunehmend kälter. Am Morgen ist das Gras gefroren, mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Das Morgenlicht gleicht dem Abendlicht, lediglich an den Bergspitzen bricht sich das Licht dem Tage entsprechend. Das Wasser im Fjord liegt spiegelglatt. Vereinzelt treiben kleine weiße Punkte auf dessen Oberfläche. Die Landschaft um den Fjord scheint sich zu dehnen, als würde diese fließen, wie frisch gekneteter Ton in all seinen Schattierungen, dessen Trocknungsprozess dem Raum ständig neue Gestalt verleiht und der Landschaft innewohnenden Statik eine Form von Bewegung gibt. Dass ich nicht angekommen sei, schreibe ich, doch in Kürze würde ich abreisen. Ein Widerspruch in sich. Ein Traum. Dem Leben ein Neues gegeben.